V#14 Stadt Land Fluss
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V#14 Stadt Land Fluss

Die V#14 Stadt Land Fluss wurde von Wolfgang Mörth und Roger Vorderegger herausgegeben. Sie erschien im Herbst 2005.

Einsicht
Wolfgang Mörth

Die Vorarlberger, so zumindest ihr Ruf, verbringen viel Zeit damit, sich Gedanken darüber zu machen, was ihr Land zu so etwas Außergewöhnlichem macht. In den letzten Jahren geschieht dies hier vermehrt unter einem neuen Aspekt, der genau genommen ein alter Hut ist. Es geht um die Art, wie in Vorarlberg gebaut, bebaut und verbaut wird und wie dieses Bauen, Bebauen und Verbauen das Land verändert hat und verändern wird.
In besonderer Weise nimmt man neuerdings die Zukunft des Rheintals ins Visier, das genau genommen Alpenrheintal und noch genauer genommen Alpenrheinkanaltal heißen müsste. Das Rheintal als Begriff, als Konzept, als Objekt der Planungsbegierde, beginnt dabei fast schon die alte Länderkennung „Vorarlberg“ zumindest fallweise zu ersetzen. Eigentlich ein entspannender Umstand, zumal sich das Rheintal kaum für chauvinistische Zugehörigkeitsbekundungen eignet. Es klingt zu wenig romantisch, es lässt sich schwer verklären, weil es ja kaum einer, der in diesem Ding wohnt, zu seiner Heimat erklären muss. Dieses unser Rheintal ist wie unser Europa, man weiß nicht genau, wer oder was wirklich dazu gehört, und die Gedanken darüber produzieren neben einer Reihe von technoid ökonomischen Visionen in erster Linie Anlässe zur Verärgerung. Eine der Visionen lautet: Die Gemeinden des Rheintals wachsen zusammen zu einer großflächigen Stadt mit allem drum und dran. Der dazugehörige Ärger hingegen lautet: Die Gemeinden des Rheintals wachsen zusammen zu einer großflächigen Stadt mit allem drum und dran. Diese Ambivalenz zwischen Wünschen und Befürchtungen, die sich leicht sowohl auf das städtische wie auf das ländliche Leben beziehen lassen, bringen im Wesentlichen etwa folgende immer wieder zu hörenden Behauptungen hervor: „Das Rheintal vereinigt die Vorteile des Stadtlebens mit denen des Landlebens,“ und, ,das Rheintal ist hässlich, zersiedelt, unstrukturiert und unpraktisch und hat weder die Verdichtung des Städtischen, noch die Unberührtheit des Ländlichen zu bieten.“ Ersteres ist gewöhnlich in Tourismus- und Betriebsansiedelungs-Broschüren zu lesen, die gedruckt werden, um Menschen und Kapital ins Land zu holen, während Letzteres von vie. len Intellektuellen und Kreativen als einer der Gründe dafür genannt wird, warum sie so schnell wie möglich von hier abhauen müssen. Das Hereinloben und das Hinaustreiben, Liebe und Hass, Angste und Sehnsüchte prägen die Stimmung in dieser Region schon seit lan-gem. Und bittet man die Schreibenden, sich dieses Themas anzuneh. men, dann findet man sie in der Regel auf der skeptischen Seite. Kein Innen. Kein Außen betitelte schon vor zehn Jahren Wolfgang Hermann das damalige Jahrbuch des Autorenverbands, in dem Texte über Leben in Vorarlberg gesammelt waren, und nahezu auf jeder Seite war dieser Kampf zwischen den Trägheits- und Fliehkräften zu spüren, denen die  Gedanken über das Leben im eigenen Land zwangsläufig ausgesetzt zu sein scheinen.
In dieser Nummer ist es im Grunde nicht anders, nur durch den Wechsel vom Vorarlberg- hin zum emotional neutralen Rheintalbegriff ist die Stoßrichtung konkreter, die Schläge sind in gewisser Weise befreiter geführt, lustvoller, weil weniger Mitleid mit dem Gegenstand erforderlich ist.
Die eingeladenen AutorInnen, KünstlerInnen und FotografInnen haben natürlich keine Beschwörungen des Außergewöhnlichen geliefert. Sie haben Prozessen nachgespürt, die sich (ich überschreite jetzt bewusst die metaphorische Belastungsgrenze des Titels dieser Nummer) auf der Strecke zwischen Stadt und Land im Fluss befinden, und zwar jenseits auflebender und absterbender Interessen, den Machbarkeitsphantasien der Technokraten zum Trotz, und vor allem mit erstaunlichem Widerwillen gegen das beliebte Beleuchtungsinstrument zukünftiger Ent-wicklungen, nämlich gegen die oben genannte Methode der Vision. Wer hier nachschaut und nachliest, findet also keine Visionen, denn sie „führen dich nicht in die Weite, wie du gutgläubig meinst. Im Gegenteil. Eine Vision ist eine Sehbehinderung, an der man arbeiten muss“, wie Norbert Loacker in seinem sehr persönlichen Brief an ein Neugeborenes schreibt. Die Zugärte die bescheidener und gleich. zeitig riskanter. Man kommt an Orte, die hinter der Abrisskante des Planbaren liegen, lernt Objekte kennen, die sChon sind, weil sie niemandem gefallen müssen, hört Argumente, die einleuchten, weil sie das Korset instrumenteller Vernunft und politischer Korrektheit bewusst sprengen. Hubert Matt macht den Versuch, die Rolle des Schreibenden im Hinblick auf unsere Thematik folgendermaßen zu charakterisieren: „Wäre es vielleicht jene, das Beschreiben, das Besprechen eines Lebensraumes hinsichtlich der Möglichkeiten dieses Schreibens und Redens auszuloten? Texte zu erstellen, welche zwischen Wut, Hass, Liebe und Zuneigung zu einer Gegend – der Gegend wegen – pendeln, die Extreme versuchen, um aus einer erst zu schaffenden Nüchternheit heraus, neue Geschichten entstehen zu lassen?“ Diese Charakterisierung ließe sich gut, der Autor hätte sicher nichts dagegen, der gesamten Nummer als Motto voranstellen.

Mit Beiträgen von Wolfgang Mörth, Erich Smodics, Norbert Loacker, Christoph Hänsli, Cornelia Hefel, Hubert Matt, Peter Bilger, Robert Fabach, Ulrich Gabriel, Erika Kronabitter, Harold Winkel, Daniela Egger, Christine Hartmann, Wolfgang Herbert, Wolfgang Hermann, Udo Kawasser, Susanne Alge, Adolf Vallaster, Werner Grabher, Roland Jörg, Livia Neutsch, Roger Vorderegger.