V#22/23 Der Berg der Jahre
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V#22/23 Der Berg der Jahre

Die V#22/23 Der Berg der Jahre wurde von Norbert Loacker. Sie erschien im Sommer 2009.

Editorial

Auf einer Matinee im Palais des greisen Fürsten von Guermantes hat Marcel Proust sein Roman-Ich finden lassen, wonach er in seinen Erinnerungen auf der Suche war, die verlorene Zeit. Anscheinend zufällig war er in diesen Anlass hinein geraten, der für ihn eine Offenbarung wurde. Sorgfältige Recherche ist eins; aber den Spuren des Gesuchten, dem endlichen Fund, der ungeahnten Wucht der Entdeckung Stand zu halten, kann vorübergehend die Orientierung kosten.

„Ein Gefühl der Müdigkeit und des Grauens befiel mich bei dem Gedan-ken, dass diese ganze so lange Zeit nicht nur ohne Unterbrechung von mir gelebt, gedacht und wie ein körperliches Sekret abgelagert worden war und dass sie mein Leben, dass sie ich selbst war, sondern dass ich sie auch noch jede Minute bei mir festhalten musste, dass sie mich, der ich auf ihrem schwindelnden Gipfel hockte und mich nicht rühren konnte, ohne sie ins Gleiten zu bringen, gewissermaßen trug.“

Was wir beim Aufstieg auf den Berg unserer Jahre erleben und mit uns führen, wenn wir oben sind, geht in unsere Texte ein, ohne dass wir einen äusseren Anstoß dafür brauchen. Wozu dann also überhaupt ein solcher Anstoß, wozu diese Einladung? Was Proust sicher nicht wusste: Es gibt im Massiv des Montblanc auf der ungemütlichen Höhe von 2787 Metern einen merkwürdigen Ort, der unter Geografen und Bergsteigern den Namen ‚Jardin‘ führt und von manchen als eine grüne Insel mit Südseecharme beschrieben wurde. Etwas ganz Ähnliches soll die ‚Märchenwiese‘ am Fuß des Nanga Parbat sein.

Ein solcher Garten ist dieses Heft geworden. Ich danke allen sehr herz. lich, die meiner Einladung zu diesem Treffen gefolgt sind und während ihres Aufstiegs auf den Berg der Jahre einen kurzen Halt eingelegt haben. Viele reden heute über Altern und Alter. Für die Medizin, die Politik, die Sozialforschung und die Versicherungen, aber auch für viele dokumentarische und künstlerische Kreationen ist Alter schlicht die letzte Phase des Lebens. Dagegen ist mit Hausverstand und Zellen-Kunde wenig vorzubringen. Für Schriftsteller – das zeigen die folgen. den Beiträge – ist Alter jedoch etwas, was sich nicht exakt begrenzen lässt, sobald man den ganzen Menschen ins Auge fasst, wie er zwischen Start und Ziel unterwegs ist.

In besagtem Garten zusammen gekommen sind über vierzig Kolleginnen und Kollegen aus unserem Verband Literatur Vorarlberg, dazu der eine oder andere Gast von außen. Für einmal bilden sie aus diesem Anlass eine Reihe, die die Zeit bestimmt. In dieser Marschfolge werden sie nach dem kurzen Meeting weiter dem Proust’schen Gipfel der Jahre entgegen steigen. Wer ihnen lesend folgt, erreicht zuerst die Jungen und überholt die anderen bis zu den Vordersten im Zug.

Die Fotos von Marianne Greber in diesem Heft stammen von den Proben zu einer neuen Inszenierung des aktionstheater ensemble. Sein Gründer, Leiter und Regisseur Martin Gruber hat die Präsentation von V#22/23 ge-staltet. Die Sprechoper Paradiesseits trifft sich thematisch mit unserem Heft. „Paradiesseits ist ein Hohelied auf die Hoch-Zeit des Lebens und die Liebe, die den Tod überdauert.“