
Bastian Kresser, Als mir die Welt gehörte
Barbara Pfeifer liest ‚Als mir die Welt gehörte‘ von Bastian Kresser
Bastian Kresser baut seinen Roman ‚Als mir die Welt gehörte‘ um den Trickbetrüger Victor Lustig auf, der ursprünglich aus der österreich-ungarischen Monarchie stammt und den es nach Übersee verschlägt. Die Lesenden begegnen Lustig in einer späteren Phase seines Lebens – als Insasse des Hochsicherheitsgefängnisses Alcatraz, wo er mit keinem Geringeren als Al Capone die Zelle teilt, einem der bekanntesten Namen der Gangster-Ära des 20. Jahrhunderts. Gekonnt lässt der Autor Wahrheit und Fiktion miteinander verschwimmen, während sich mehr als einmal die Frage stellt: Könnte sich das so oder zumindest so ähnlich zugetragen haben?
Die Gespräche zwischen den beiden Inhaftierten bilden den Ausgangspunkt für zahlreiche Rückblenden. Zwar kennt Capone Victor Lustig schon seit Längerem, doch sein Gedächtnis ist infolge seiner Syphilis-Erkrankung zunehmend in Mitleidenschaft gezogen. So wird Lustigs Werdegang – bei der Kindheit beginnend – nachgezeichnet und den Lesenden ein nahezu lückenloser Einblick in das Denken und Handeln eines Trickbetrügers ermöglicht.
Prag, Wien, London, Paris, New York – dies sind nur einige der Stationen Victor Lustigs, in denen sich der fortwährend nach Freiheit Suchende immer wieder neu erfindet, eine Persona nach der anderen annimmt und seine ganz eigenen Regeln aufstellt, um ein Leben abseits des Gesetzes überhaupt möglich zu machen.
Lustig, wohl vornehmlich bekannt dafür, den Eiffelturm an Schrotthändler verkauft zu haben, verfällt auf seiner ewigen Suche nach Freiheit einem wahren Rausch nach mehr. Dabei bewegt er sich im Roman sowohl in der Oberschicht als auch in ständigem Kontakt mit der kriminellen Unterwelt und ihren Strippenziehern. Ein Umstand, der – schon mit der Einführung von Al Capone – ein bestimmtes Flair transportiert: das Bild einer Welt, in der zwar Armut und Reichtum gegeben sind, in der aber prinzipiell doch alles möglich scheint, wenn man nur ausgeklügelt genug agiert.
Der erfahrene Trickbetrüger spricht die Lesenden direkt an, verspricht, die absolute Wahrheit zu erzählen – etwas, das sich im Rahmen des Romans mehr als einmal als Lüge herausstellt. Doch gerade dieses Stilmittel funktioniert hervorragend, um eine Figur zu zeichnen, die sich nicht nur fortwährend neu erfindet, sondern die wohl niemand Zeit seines Lebens tatsächlich gekannt haben dürfte. Dabei wird Victor – gewissenlos, aber seinen eigenen inneren Regeln folgend – als fantasievoller Sympathieträger mit krimineller Natur konstruiert.
Die im Klappentext angekündigte Spannung, „ein Katz-und-Maus-Spiel mit dem FBI und dem Secret Service“, das zunächst eine krimiähnliche Dynamik vermuten lässt, stellt sich an keiner Stelle wirklich ein. Nichtsdestotrotz gelingt es dem Erzähler gekonnt, durch das Aufwerfen von Fragen, die im Verlauf verlässlich beantwortet werden, das Interesse der Lesenden aufrechtzuerhalten. Denn wie trifft Victor Lustig auf Al Capone? Und wie kommt es am Ende tatsächlich zu seiner Inhaftierung in Alcatraz?
Mit ‚Als mir die Welt gehörte‘ präsentiert Bastian Kresser damit einen kurzweiligen Roman, der Wahrheit und Fiktion auf eindrucksvolle Weise verwebt. Zwar entwickelt sich keine klassische kriminalistische Spannung, dafür überzeugt das Werk durch eine schillernde Hauptfigur und das ständige Suchen nach dem nächsten Coup. Wer sich für historische Hochstapelei, aber auch für die Menschen hinter den Masken interessiert, wird hier gut unterhalten.
Bastian Kresser
„Als mir die Welt gehörte“
Braumüller Verlag, Wien 2023, 368 Seiten
ISBN978-3-99200-340-2
€ 26,–
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