
Ingrid Kloser, Aus Stille geformt
Klaus Amann liest ‚Aus Stille geformt‘ von Ingrid Kloser
Akiko ist im Jahr des Hundes geboren, muss deshalb der Wahrheit auf den Grund gehen und kann keine Ruhe geben, bis die Dinge ins rechte Licht gerückt sind (S 104).
Friedrich hat sich nie mit Kindern gesehen, so weit hat sein Vorstellungsvermögen nicht gereicht. Die Verantwortung für ein Geschöpf zu übernehmen, noch dazu für ein Kind, das ihn fragend ansehen würde. Bei solchen Gedanken überkam ihn regelmäßig ein Gefühl der Schwäche (S 186).
Mit diesen Beschreibungen der beiden Protagonisten sind wir schon mitten im Konflikt einer sehr sorgfältig recherchierten Geschichte um Wahrheit und Lebenslüge, Gehorsam und Auflehnung sowie des Findens der eigenen Persönlichkeit, sowohl im Beruf aber vor allem als Mensch.
Der Buchumschlag macht neugierig: Schon als Kind schuf Akiko erste Tonfiguren auf dem Boden sitzend im Atelier ihres Onkels. Gegen den Willen ihres Vaters, aber ermutigt von ihrer Mutter verlässt sie Japan und lernt in Deutschland das Töpferhandwerk. Als sie ein Praktikum bei einem Töpfermeister im Bregenzerwald antritt, scheint es ein Glücksfall zu sein: Friedrich liebt wie Akiko die Stille, den Ton und das Brennen im Holzbrennofen. Friedrich erkennt in Akiko nicht nur ein großes Talent, in gemeinsamen Arbeiten und Gesprächen hilft er ihr, die eigene Form zu finden. Bis Akiko Hinweise auf frühere Reisen Friedrichs nach Japan findet und ihm Fragen stellt …
Akikos Praktikum beginnt im Frühling und frühlingshaft keimt in ihr der Verdacht, dass Friedrich mehr mit Japan zu schaffen hatte, als ein paar Töpferkurse zu besuchen. In Friedrich keimt der Verdacht auf, dass Akiko nicht ganz zufällig von Kyoto über Landshut in einem kleinen Dörfchen im Bregenzerwald in seiner Werkstatt gelandet ist. Behutsam und geschickt baut Ingrid Kloser die Spannung des Romans über die vier Jahreszeiten auf und mit jeder Jahreszeit verdichtet sich der Verdacht beim Lesen, dass Akiko und Friedrich nicht nur Lehrling und Meister sind.
Sorgsamkeit, Behutsamkeit und Achtsamkeit in menschlichen Beziehungen sind zentrale Themen dieses flüssig geschriebenen und nachdenklich stimmenden Romans. Es ist vor allem Akiko und ihr japanischer Erzählstrang, der uns in diese mitunter auch bevormundende Welt einführt. Über Friedrich andererseits erfahren wir Vieles über genau dieselben Themen in der Welt der Keramik, des Brennens, des Tonstechens und Zentrierens. Mit dieser Welt ist die Autorin so vertraut, dass auch hier eine gewisse Spannung bei der Lektüre aufkommt. Spannungen und Kontraste sind es denn auch, die Aus Stille geformt Form und Struktur geben: zwischen Krumbach und Kyoto, zwischen Onkel und Hiroshi, zwischen Landshut und Afrika, zwischen Gehorsam und Selbstfindung, zwischen Friedrich und Akiko. Und kommt man gerade wie der Rezensent von einer mehrmonatigen Reise auf einer Insel zurück, die ebenfalls sehr berühmt für ihre Keramik ist, möchte man sofort auch eine Werkstatt dort besuchen und der Entstehung dieser wunderbaren Farben zusehen. Die Inselwelt Japans, als zweiter Schauplatz der Handlungen, beschreibt Kloser einladend und auch kritisch. Dabei ist ihr vielleicht auch das eine oder andere Klischee entkommen – nicht alle Männer besaufen sich nach einem stressigen Arbeitstag im Land der aufgehenden Sonne.
Alles in allem ist der Autorin ein sehr berührender, informativer, spannender und abwechslungsreicher Roman gelungen, der sich am besten in aller Stille liest!
Ingrid Kloser
Aus Stille geformt
224 Seiten
Verlag Piper, 2025
ISBN 978-3-492-07236-2
18.-€