Arno Geiger, Reise nach Laredo
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Arno Geiger, Reise nach Laredo

Arno Geiger, Reise nach Laredo

Barbara Pfeifer liest ‚Reise nach Laredo‘ von Arno Geiger

Arno Geigers ‚Reise nach Laredo‘ nimmt mit – historisch, geographisch, sozial und emotional. Der Roman führt ins Spanien des 16. Jahrhunderts, auf die letzte Reise des sterbenden Karl V. – und zugleich in die inneren Landschaften eines Menschen, der am Abgrund (oder doch vor dem Absprung?) steht. Wenngleich historische Persönlichkeiten und politische Winkelzüge nicht völlig ausgeklammert werden, steht das Menschliche im Zentrum: das Nachdenken über das, was ist, was war und was einmal sein wird – wenn wir gehen.

Karl V., einst Regent, nun „Privatmann Karl“ (S. 7), ist schwer krank und fristet seine letzten Tage im spanischen Yuste, wo er mit seinen Bediensteten auf den unweigerlich nahenden Tod harrt. Der Alltag Karls und seines Gefolges gestaltet sich trist und zäh, bevor sich der Kranke gemeinsam mit seinem illegitimen Sohn Geronimo auf seine allerletzte Reise begibt.

Er besteigt ein Maultier und macht sich auf den Weg nach Laredo. Bereits hier wird klar: Diese Reise ist die eines Mannes, der im wörtlichen wie im übertragenen Sinn vom hohen Ross gestiegen ist. Am Ende seines Lebens erscheint er als Normalsterblicher – auf einer selbstreflexiven Reise über das Leben, das Sterben und den Sinn des Menschseins.

Karl und Geronimo wirbeln auf ihrer Reise allerlei Staub auf und geraten in Zwiste, die nicht ihre eigenen sind. Dabei begegnen ihnen unterschiedlichste Mitreisende, und ganz nebenbei entsteht ein lebendiger Einblick in ein Spanien, das von sozialer Ungleichheit und Ausgrenzung geprägt ist.

Immer wieder werden in ‚Reise nach Laredo‘ Reflexionen über historische Figuren und Begebenheiten eingeflochten, was das Setting aufrechterhält und die Figur Karls zunehmend konturiert. Eine zentrale Rolle spielt dabei auch sein Sohn Geronimo, dessen kindliche Art einen starken Kontrast zum sterbenden Vater bildet. In der Begegnung mit Unbeschwertheit, Lebenslust und Emotionalität zeigt sich Karl – gezeichnet von Weisheit und Abgeklärtheit – von neuen, unerwarteten Seiten. Er wird zum nahbaren Mann mit Sorgen, Nöten, Geschichte und Geschichten – und dadurch greifbar.

Wenn Regeln, Pflichten und politische Allianzen der Vergangenheit angehören, bleibt ein Mensch zurück. Durchzogen ist der Roman daher durchwegs von fundamentalen Fragen, die sich wohl alle Menschen früher oder später stellen: Was ist wichtig – wenn man geht? Und wer bin ich – wenn ich gehe? Gerade dadurch wird die Geschichte rund um einen einstigen Herrscher erstaunlich zugänglich und nahbar.

Einmal unterwegs, drehen sich Gedanken und Handlung naturgemäß nicht mehr nur um Krankheit und Tod, dennoch bleibt ‚Reise nach Laredo‘ von Anfang bis Ende von Schwermut durchzogen, was dem Thema – den letzten Augenblicken eines Menschen – aber durchaus angemessen ist. Stets spürbar ist zudem das Schwingen zwischen Loslassen und Festhalten.

Geiger gestaltet einen Roman, der thematisch fordernd, sprachlich dicht und reich an Symbolen ist – so etwa die Uhr, die von einem Kanonenbauer entworfen wurde und bedrohlich schlägt. Zwar ziehen sich manche Passagen etwas in die Länge, etwa wenn die Lesenden unterwegs zum Kartenspiel gebeten werden, doch fällt das in der Gesamtschau kaum ins Gewicht.

Am Ende ist ‚Reise nach Laredo‘ ein Roman, der lange nachhallt und der mehr als einmal zur Hand genommen werden will, um all seine Schichten zu erfassen. Aber wenn es ums Leben, den Tod und das große Dazwischen geht – wäre es wohl anders kaum angemessen.

Arno Geiger
„Reise nach Laredo“
Carl Hanser Verlag 2024, 272 Seiten
Gebundene Ausgabe: € 27,50–
ISBN 978-3-446-28118-9