
Arno A. Gander, Stadt im November
Barbara Pfeifer liest ‚Stadt im November‘ von Arno A. Gander
In seinem Roman ,Stadt im November‘ widmet sich Arno A. Gander einem historisch bedeutsamen Ereignis des Zweiten Weltkriegs: dem Angriff britischer Truppen auf den italienischen Hafen Tarent im November 1940. Mit zwei Erzählsträngen – einer Handlung im Herbst 1940 und einer weiteren im Sommer 1990 – schafft Gander eine Brücke zwischen Kriegsgeschehen und späterem Erinnern. Dabei gelingt es ihm, die Geschehnisse und Nachwirkungen rund um einen einschneidenden Moment des Kriegsverlaufs bis in die Zukunft hinein nachzuzeichnen – mal explizit, mal nur angedeutet.
Im Zentrum der Erzählung steht Tyler Galeman, ein geschiedener britischer Kriegsberichterstatter, gezeichnet von familiärer Zerrüttung, den inneren Narben vergangener Schlachten und Alkoholmissbrauch. Der Krieg hat diesen kantig gezeichneten Journalisten, wie es an einer Stelle treffend heißt, „nicht verschluckt, hatte ihn nur ausgespien und achtlos liegen gelassen.“ (S. 13) Galeman nimmt den Auftrag seines Herausgebers, eine Reportage über das Kriegsgeschehen in Italien zu schreiben, zunächst widerwillig an – nicht zuletzt, weil er Tarent weder historisch noch geographisch wirklich einordnen kann. Der Auftrag erscheint ihm bedeutungslos, wie ein weiteres Kapitel verstaubter Historie, während es sich seiner Meinung nach doch eigentlich Wichtigerem zu widmen gälte.
In Italien angekommen, wird Tyler Galeman die junge Historikerin Mea Mariani zur Seite gestellt, die sich in ihrer Dissertation mit dem italienischen Faschismus beschäftigt. Sie wird nicht nur zur fachlichen Begleiterin, sondern auch zur emotionalen Kontrastfigur – voller Lebenslust und mit einer tiefen Verbundenheit zur eigenen familiären, aber auch nationalen Geschichte. Gemeinsam begeben sich die beiden auf eine Spurensuche, eine erzählerische Reise, die bisweilen Züge eines Geschichtslehrbuchs trägt.
Gander gelingt es, italienisches Flair ebenso einzufangen wie die Brutalität des Krieges. Rom, die Stadt, in der der Journalist zunächst ankommt, erscheint dabei ebenso lebendig wie das historische Tarent – detailreich beschreibt der Autor Straßenbilder, Gefühlsregungen, Stimmungen, aber auch Kriegsgerät. Dabei ist immerfort spürbar, dass Geschichte nicht nur aus Daten besteht, sondern aus Menschen: britischen und italienischen Soldaten etwa – ebenso wie aus den Leben ihrer Nachkommen.
Trotz der über weite Strecken gelungenen Atmosphäre und der ambitionierten Doppelstruktur samt komplexer Figuren scheint der Roman auf eine historisch interessierte Zielgruppe zugeschnitten. Die Opulenz sowie das Anliegen, geschichtsträchtige Ereignisse – samt taktischer Winkelzüge oder genutzter Gerätschaften –, politische Fragen und persönliche Hintergründe sowie Traumata der Figuren zu vereinen, erschweren dabei bisweilen den Zugang. Die Beziehung zwischen Tyler Galeman und Mea Mariani tritt dabei in den Hintergrund und dient mehr der Informationsvermittlung als dem Erleben echter emotionaler Tiefe.
Nichtsdestotrotz überzeugt ,Stadt im November‘ als literarische Auseinandersetzung mit einem relevanten Moment der Kriegsgeschichte und zeigt eindrücklich, dass Historisches nicht nur geschieht und vergeht, sondern nachwirkt – nicht zuletzt durch Orte, Erlebnisse und geteilte Erinnerungen.
Arno A. Gander
Stadt im November
Roman, Bucher Verlag 2024
ISBN 978-3-99018-726-5
Gebundene Ausgabe € 23,-