Brigitte Herrmann, Die Suche nach der eigenen Farbe – Das widersprüchliche Leben der Malerin Stephanie Hollenstein
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Brigitte Herrmann, Die Suche nach der eigenen Farbe – Das widersprüchliche Leben der Malerin Stephanie Hollenstein

Brigitte Herrmann, Die Suche nach der eigenen Farbe – Das widersprüchliche Leben der Malerin Stephanie Hollenstein

Jürgen-Thomas Ernst liest ‚Die Suche nach der eigenen Farbe – Das widersprüchliche Leben der Malerin Stephanie Hollenstein‘ von Brigitte Herrmann

Brigitte Herrmann greift in ihrem Roman das Leben der Vorarlberger Malerin Stephanie Hollenstein auf. Hollenstein wurde 1886 in Lustenau in einem ländlichen Milieu geboren. Schon früh wird ihre Umgebung auf ihr zeichnerisches Talent aufmerksam. 1904 wird sie in die Königliche Kunstgewerbeschule in München aufgenommen. Aber rasch erkennt sie, dass auch in der Kunst die Frage der Herkunkt oft von wesentlicher Bedeutung ist und Talent allein nicht genügt, um künsterlisch erfolgreich zu sein. Sie beendet Ihr Studium 1908. Eine Empfehlung des berühmten Malers Franz von Defreggen ermöglicht ihr ein Reisestipendium nach Italien und bewirkt eine schöpferische Hochphase ihres Lebens.

Als der 1. Weltkrieg ausbricht, tarnt sie sich als Mann und zieht mit den Vorarlberger Standschützen in den Krieg. Ihre Tarnung fliegt jedoch auf. Trotzdem wird sie für das österreich-ungarische Heer als Kriegssmalerin engagiert.

1920 lernt sie die Ärztin Franziska Gross kennen und lieben. Wien dient den beiden, wie vielen anderen Menschen, die in gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben, als idealer Schutz- und Lebensraum.

Hollenstein stellt im Künstlerhaus Wien, in der Secession und im Hagebund aus. Mit Ihrer malerische Arbeit erlangt sie ein gewisses Ansehen und schafft es, von ihrer Kunst zu leben.

In den 1930er Jahren ist sie fasziniert von der nationalsozialistischen Bewegung. Sie wird Vorsitzende der Vereinigung bildender Künstler Österreichs und ist unter anderem auch dafür verantwortlich, dass jüdische Künstlerinnen aus der Vereinigung ausgeschlossen werden. Stephanie Hollenstein stirbt 1943 mit 57 Jahren an einem Herzinfarkt.

Brigitte Herrmann begibt sich mit ihrem Roman – und vermutlich war ihr das bewusst – auf ein sehr gefährliches Terrain. Sie beschreibt das Leben einer Künstlerin, die in einem Abschnitt ihres Lebens Anhängerin des nationalsozialistischen Denkens und Handelns war. Obwohl der Nationalsozialismus eine relativ kurze Zeitspanne in ihrem Leben einnimmt, und im Roman sehr spät behandelt wird, wird das Leben von Stephanie Hollenstein oft auf diesen Lebensabschnitt reduziert und haftet ihr nach wie vor als Makel an.

Brigitte Herrmann beschreibt sehr präzise und wortgewandt den Weg der Künstlerin vom Land in die großen Städte dieser Welt. Sie beschreibt die Konflikte, die sich ergeben, wenn man als talentierte Künstlerin, und das war Hollenstien ohne Zweifel, in die Welt der Etablierten und Reichen eintritt. Dieses Phänomen arbeitet Herrmann sehr gut heraus.

Sie beschreibt auch treffend das Spannungsfeld, das Hollenstein zwischen dem Leben auf dem Land und der Stadt erlebt und zeichnet das Bild einer Frau, die von ihrem Eifer und Ehrgeiz getrieben ist, eine große Künstlerin zu werden.

So gesehen, steht dieser Roman allgemein gültig für die Visionen und den Lebensplan eines Menschen. Auch ihre sexuelle Orientierung beschreibt Herrmann als Sehnsucht, den Wünschen und Bedürfnissen des eigenen Körpers und des eigenen Wesens zu folgen.

Im Kontext Ehrgeiz, Fleiß und der Erreichung von Lebenszielen ist auch ihr Engagement während der Zeit des Nationalsozialismus zu verstehen. Sie sitzt quasi dem Phänomen der Zeit auf und verstrickt sich in ihm. Als sie den offensichtlichen Fehler und Irrweg der nationalsozialistischen Idee bemerkt, scheint ihr eine Umkehr im Denken und Handeln nicht mehr möglich zu sein.

Etwas erscheint Herrmann in diesem Buch sehr wichtig. Es geht ihr bei dieser Beschreibung nicht darum, Hollensteins nationalsozialistische Gedanken zu rechtfertigen, sondern sie zu erklären und im Kontext der Zeit zu verstehen.

Mit ihrem Roman ist Brigitte Herrmann ein sehr präsizises und reifes literarisches Werk gelungen. Man staunt, wie leicht und kurzweilig sie zu erzählen vermag. Das ist die große Stärke des Buches.

Nach der Lektüre des Buches hätte man sich für die Autorin einen größeren Verlag gewünscht. Denn eine größere Reichweite hätte dieser Roman ohne Zweifel verdient.

Brigitte Herrmann
„Die Suche nach der eigenen Farbe – Das widersprüchliche Leben der Malerin Stephanie Hollenstein“
Gmeiner Verlag, Meßkirch 2025, 432 Seiten
€ 19,40–
ISBN 978-3-8392-0772-7

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